KeyNamm 7-8
KeYNamM
by
Ruwen Rouhs
7 Tarit, Wüstensohn
Den ganzen Morgen über trabte KeYNamM im Stil eines Botenläufers im Schatten der Bäume des Galeriewaldes den schmalen Pfad am Draa entlang nach Süden. Nur um die heiße Mittagszeit ruhte er sich kurz am Ufer des Wassers aus. Am Spätnachmittag bog er in einen sandigen Pfad ein, der nach Südosten durch verschepptes Grasland bis zum gebirgigen Hochplateau am Rand der Großen Sandwüste führte. Er folgte dem steilen Pfad hinauf zum Dach des Hochplateaus. Bei Einbruch der Dunkelheit stand er endlich auf der Klippe am Rande eines Trockental, das nach Wüstengewittern schmutzige Wasserfluten zum Draa führte. In den vergangenen Jahrtausenden hatten Wasserfluten dieses Tal tief in das Gestein des Plateaus eingefräst.
Jetzt im Hochsommer aber war der Talgrund auf weiten Strecken ausgetrocknet. Nur da und dort stand fauliges Wasser in flachen Kuhlen, an deren Rand dornige Büsche wuchsen. Das Wasser dieser Kuhlen wurde von einer Quelle nachgeliefert, die in einer Höhle in der schroff ansteigenden Talwand entsprang.
Der Pfad, den KeYNamM jetzt einschlug, führte zu dieser Quelle, die das gesamte Jahr über Wasser führte. KeYNamM liebte diese Quelle, die Quelle der Meryem. Sie entsprang tief in einer zerklüfteten Höhle und sammelte sich vor ihr in einem flachen, lang gestreckten Becken. Vor dort floss es dem Draa zu, versickerte jedoch nur wenigen hundert Schritte im trockenen Sand.
KeYNamM war den Pfad zur Quelle schon so oft entlang gewandert, dass er sich beim besten Willen nicht erinnerte konnte wie oft. Er erinnerte sich jedoch deutlich an den Abend an dem er erste Mal zur Quelle der Meryem kam. Das war kurz nachdem der kalte Körper seines Vaters in tiefer Nacht in der Qubba der Könige vom Unland in Tamegroute beigesetzt worden war.
Sein Vater, der König des Unlandes, der Amestan der Menschen am Draa, war an Gift gestorben, das ihm die Häscher des Imperiums in die Speisen gemischt hatten. An diesem Abend hatte KeYNamM den Namen abgelegt, dem ihm seine Mutter gegeben hatte und unter dem ihn seine Freunde seit seiner Geburt kannten. Er trug von da an den Namen, den alle Könige vom Unland seit alters her trugen, KeYNamM, König ohne Namen.
Zu dieser Zeit war er nicht viel älter als Ikken jetzt und hätte selbst noch Schutz und Führung notwendig gehabt. Doch schon am nächsten Morgen begannen die Häscher des Imperiums ihn, den neuen König vom Unland, den Amestan, zu jagen. Drei Wochen dauerte die Flucht, erst den Draa hinauf ins Gebirge im Norden zur Quell des Draa, danach zurück nach Süden in die Wüste, wo der Draa im Sand versickert und schließlich ins Grenzland. Jedoch auch im Grenzland, verkleidet als Bürger des Imperiums, wurde er von den Häschern aufgespürt. Als letzte Möglichkeit blieb ihm nur die Flucht nach Osten über den Draa in das Reich der Wüstensöhne, der Kel Tamasheq, die Flucht in die unendliche Wüste aus Sand und Steinen. Aber auch dort fühlte er sich nicht sicher, denn immer im Dunkel der Nacht hörte er Hufe von Pferden, Pferden seiner Verfolger?
KeYNamM war am Verdursten, als er in der Dunkelheit den steilen Pfad vom Rand des Plateaus in das Trockental hinunter stolperte. Im Mondlicht schimmerte die Oberfläche des Wassers in Becken silbrig. Ohne einen Augenblick zu zögern, stürzte er sich in das kühle Nass, trank sich satt, tauchte seinen müden Körper im Wasser unter und atmete dann, auf dem Rücken schwimmend, mit geschlossenen Augen tief durch. Gerade als er beschlossen hatte bis zum Sonnenaufgang im lauen Wasser liegen zu bleiben, drang Pferdeschnauben an sein Ohr. Panisch vor Angst, blickte er sich nach einem Versteck um. Den einzigen Schutz versprach die Höhle aus der das Quellwasser strömte. Er rannte geduckt auf das schwarzen Loch des Höhleneingangs zu, als erneut das Schnauben von Pferden ertönte. Im Laufen drehte er den Kopf, suchte mit kurzen Blicken den Talgrund hinter sich ab und rannte dabei mit dem Kopf gegen die Decke des niedrigen Höhleneingangs. Er verlor das Bewusstsein, schlug der Länge nach hin und blieb wie tot liegen.
KeYNamM wachte erst auf, als er in einer unbekannten Sprache angeredet wurde. Im Dunkeln suchte er herauszufinden woher die Stimme kam, wem sie gehörte. Eine dunkle Gestalt verdeckte den Höhleneingang und blockte das Mondlicht ab. Die Gestalt kam näher, immer näher, plötzlich war sie ganz nah und beugte sich über ihn. War es der Wüstengeist? Kel Essuf? Bewohnte der diese Höhle? Hatte er, KeYNamM, ihn gestört? Würde der Geist ihn verschlingen? Im Bewusstsein der Wehrlosigkeit schloss er die Augen!
Plötzlich wechselte die Stimme in die Sprache der Menschen vom Draa. „Kannst Du aufstehen?“ als KeYNamM nicht antwortet, „Hier nimm meine Hand!“ Die Gestalt in einem dunklen Umhang beugte sich zu ihm herunter, eine schlanke Gestalt, mit einem Gesicht noch dunkler als der Umhang. Sie zog ihn hoch, fasste ihn unter und führte ihm am Bach entlang zu einem Lagerplatz hinter der nächsten Biegung des Wadi.
Am Ufer des Rinnsals standen ein Dutzend Pferde, die Quelle des Schnaubens, das ihn so erschreckt hatte. Einige von ihnen dösten im Stehen, andere lagen auf der Seite im Sand. „Wir patrouillieren die Grenze unseres Reiches.“ sagte die Gestalt, „Wir schützen die Grenzen im Namen unseres Herrschers, des Amenokal, der über die Stämme der Wüstensöhne herrscht.“
Ein hagerer Mann tauchte aus dem Schatten der Felswand auf, gehüllt in ein graues Übergewand, den Gesichtsschleier zurückgeschlagen, „Tarit, Herr! Wen hast Du da im Dunkeln aufgelesen? Wer ist das? Ein Spion des Imperiums?“ dann sagte er vorwurfsvoll „Ich habe schon einige Male gesagt, dass Du nicht allein im Dunkeln auf Streifzüge gehen sollst! Du weist, wenn Dir etwas passiert, dann schlägt mir der Amenokal eigenhändig den Kopf ab!“
Nun packte der Mann KeYNamM an den Schultern und schüttelte ihn. Als er spürte, dass es nur mit einem Halbwüchsigen zu tun hatte, schien er beruhigt, „Du stellst keine Gefahr dar, nicht junger Mann?“ Dann fuhr er KeYNamM mit der Rechten übers das nasse Haar, „Nass wie eine Wasserratte!“ lachte er, „Angst, junger Mann? Was führt dich mitten in der Nacht ins Lager der Imuhagh?“ als KeYNamM nicht sofort antwortete, ergänzte er „ Beruhige Dich, wir Imuhagh ehren ihre Gäste, wir tun ihnen nichts.“
Tarit, wie der Mann seinen Retter nannte, und der Große wechselten noch einige Sätze in der fremden Sprache. Erst jetzt, als sich die Silhouette Tarits gegen das helle Gewand des Mannes abhob, erkannte KeYNamM warum er der Fremden im Höhleneingang nicht hatte sehen können. Tarit war ein Schwarzer, sein weites Obergewand war dunkelblau und seine Haut noch dunkler, fast so schwarz wie eine sternenlose Nacht bei Neumond. Nur seine Augäpfel glänzten im Mondlicht.
Tarit nahm KeYNamM an der Hand und führte ihn zu einer Feuerstelle, in der die Glut unter einen Topf nur noch schwach glimmte. „Deinen Durst hast Du schon gestillt. Hast Du auch Hunger?“ als KeYNamM nicht antwortet, „Sicher hast Du Hunger Fremder, ich ebenfalls. Greif zu!“
Tarit griff zuerst in den Topf mit lauwarmen Hirsebrei und Fleischbrocken und ließ es sich schmecken. Dann griff auch KeYNamM zu und bald aßen beide um die Wette.
Der Wüstensohn versucht den Mann vom Draa auszufragen. KeYNamM jedoch verweigerte jede nähere Auskunft über das woher und wohin. Er verriet auch seinen Namen nicht und nicht, dass er der neue König vom Draa war. Er deutete jedoch an, dass er schon seit Wochen von den Häschern des Imperiums verfolgt wurde und jetzt in seiner Not die Wüstensöhne um die Hilfe bitten wolle.
Anders Tarit. Er erzählte stolz. „Ich bin der kleine Finger an der linken Hand des Königs der Wüstensöhne.“ als KeYNamM erstaunt aufblickte begann er zu kichern, „So nennt mich der Amenokal immer, wenn wir alleine sind. Dabei streicht mir über meine störrischen Locken und sagt: Tarit Du bist für meine Existenz so wenig notwendig, wie der kleine Finger an meiner Linken. Dabei schmunzelt er.“ kicherte Tarit noch stärker, „Dann führt er den kleinen Finger zu seinen Lippen, küsst ihn und ruft aus: Ohne diesen Finger wäre mein Leben aber nicht vollkommen! Tarit, mein Sohn Du erst machst mein Leben vollkommen! Tarit mein Liebling.“
KeYNamM wusste im ersten Augenblick, nicht wie er diese Worte interpretieren sollte. Doch dann nahm ihn Tarit plötzlich in die Arme, „Bisher wusste ich selbst nicht, was mein König damit meint. Aber seit heute Nacht weiß ich von was er spricht. Denn seit ich Dich gefunden habe, Fremder, ist der leere Fleck in meiner Seele gefüllt, die Lücke, die bisher nichts ausfüllen konnte, weder die Liebe meines Königs, noch die Freundschaft meiner Kameraden.“ Nach und nach begann KeYNamM zu verstehen, was Tarit meinte. Als er am Morgen in Tarits Armen aufwachte, war ihm klar, dass sie beide mehr als Brüder waren.
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In den kommenden Jahren ließen KeYNamM und Tarit ihre Verbindung nie abreißen. Sie verabredeten sich meistens an Meryems Quelle im Wadi, die der Wüstensohn mit der Grenzpatrouille seines Wüstenkönigs regelmäßig aufsuchte. Nur selten trafen sie sich im Draatal, was für beide mit Gefahr verbunden war oder im Palast des Amenokals, aber dort störte sie die Neugierde des Hofstaats. Als KeYNamM jetzt im Dunkel am Rande des Wadi ankam, war er sicher, dass sich Tarit unten im Lager mit den übrigen Reitern der Grenzpatrouille aufhielt, obwohl sie sich zum letzten Mal vor seiner Gefangennahme durch die Soldaten des Imperiums gesehen hatten. Er wusste es einfach.
Richtig! Schon aus der Entfernung hörte er das Schnauben von Pferden und roch den Rauch des Lagerfeuers. Er kroch bis zum Rand der Klippe. Suchte den Talgrund nach Pferden ab, konnte jedoch nur zwei entdecken. Ein zierlicher Rappe döste im Stehen, neben einem Braunen, der im Sand ausgestreckt schlief. War Tarit ohne Patrouille gekommen? Waren es Fremde? Er versuchte das Dunkel zu durchdringen, aber konnte nirgends eine schlafende Gestalt entdecken. War Tarit hier? Er musste den Signalpfiff verwenden, mit dem sie sich immer riefen. Dreimal ließ er den Pfiff des Regenpfeifers ertönen. „Tarit!“; „Tarit!“; „Tarit!“; flötete er. Er horchte in die Dunkelheit. Keine Antwort! Er wiederholte die kurze Melodie. Wieder keine Antwort. Dann jedoch nach dem dritten Mal, ein kurzes Kläffen, das Kläffen eines Wüstenfuchses. Das war Tarits Zeichen. Aber war er es wirklich? Narrte ihn etwa ein richtiger Wüstenfuchs. Aber die Antwort kam nicht aus dem Tal, sondern vom Pfad, der von der Quelle zur Klippe hinaufführte. KeYNamM sprang auf. Es musste Tarit sein! Sein Bruder, sein Freund Tarit! KeYNamM rannte zur Stelle an der der Pfad auf der Klippe mündete.
Sie sprachen nicht, sie fielen sich in die Arme, sie weinten vor Freude und Erleichterung. Später saßen sie nebeneinander auf der Klippe im Licht der aufgehenden Sonne. „Ich habe schon nicht mehr an Deine Rückkehr geglaubt, mein liebster Freund, mein KeYNamM. An jedem Lagerfeuer, auf jedem Marktplatz erzählten die Handlanger des Imperiums, dass Dich die Soldaten des Imperators verschleppt hätten, dass Du zur Zwangsarbeit in der Kristallmine verdammt worden wärst, dass Du nur noch ein Schatten deiner selbst wärst, dass Du bald auslöschen würdest wie Strohfeuer im Gewitterregen! Ich war verzweifelt! Ohne Hoffnung! Bis vor ein paar Tagen. Da berichteten unsere Spione, dass die Büttel des Imperators jeden Busch im Unland nach Dir absuchen, nach Dir und deinen kleinen Freunden! Ich musste daher zu unsere Quelle, denn mein Herz sagte mir, dass ich Dich hier am ehesten treffen werde, mein KeYNamM.“ Die Sätze kamen Tarit ohne Pause über die Lippen. „Lass Dich noch einmal umarmen Liebster!“ und er küsste ihn, „Aber sag, wo sind deine kleinen Helden! Ich muss die Freunde meines liebsten Freundes kennen lernen, ihnen danken! Sie taten das, was ich hätte tun müssen! Verzeih, dass ich Dir nicht beigestanden bin!“
KeYNamM blinzelte gegen die aufgehende Sonne, drehte dann den Kopf zu Tarit und küsste ihn erst auf die rechte, dann auf die linke Wange. „Oh Tarit, Tarit, mein Freund und Bruder! Dann hätte ich Ikken und Aylal nie kennengelernt. Bald aber wirst Du sie kennenlernen, meine lieben Söhne, Söhne, wie ich mir sie mir nie erträumt habe. Ich weiß, Du wirst Ikken und Aylal lieben, wie ich sie liebe.“ Dann er noch fügte hinzu, „Lass uns zu Meryems Quelle hinuntersteigen und die Vergangenheit wegwaschen.“
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Das Wasser im flachen Becken unterhalb der Quelle war noch kühl von der Nacht. Übermütig, wie bei ihrem ersten Zusammentreffen, sprangen die beiden in das flache Wasser, spritzen einander nass und wuschen so nicht nur den Schmutz der Reise, sondern auch die Sorgen des Jahres der Ungewissheit hinweg.
„Tarit, dein Körper ist immer noch so glatt und schlank, wie damals als wir uns ersten Mal sahen! Dein Körper kann sich mit jedem Kunstwerk messen.“ rief KeYNamM.
„Dreh Dich einmal um die eigene Achse, mein Amestan! Wenn ich Dir die Barthaare ausreiße, dann siehst Du auch noch genau so aus wie damals als wir uns zum ersten Mal trafen. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein!“
Dann senkte Tarit verlegen den Blick, „Amestan ich habe jetzt drei Zelte.“ er zögerte, „Kannst Du Dich erinnern? Ich habe Dir von Tamimt erzählt, dem Mädchen, das Dir aufs Haar gleicht, dem Mädchen mit den blauen Augen und den schlanken Hüften eines Knaben. Als Du verschwunden warst, habe ich um ihre Hand angehalten, damit ich mich Tag und Nacht an Dich erinnern kann. Tamimt ist die jüngste Tochter eines Stammesfürsten, der im Kampf gefallen ist. Sie hat zwei ältere Schwestern, Lunja und Dihya. Die Mutter von Tamimt, die Klanälteste, aber bestimmte, dass sie nicht heiraten dürfe, bevor nicht Tamimt älteren Schwestern ebenfalls ein eigenes Zelt hätten. Ich baute daher drei Zelte im Lager ihrer Mutter. Am Morgen des Hochzeitstages führte ich Dihya, die Älteste, unter den Klängen der Tamburine in das erste Zelt. Als am Mittag der Marabout der Mutter und den anderen Frauen das blutige Tuch zeigte, durfte ich Lunja in das andere Zelt führen. Lunja war unersättlich. Aber als die Nacht anbrach, konnte ich mich von ihr lösen und dem Marabout das Wahrzeichen der vollendeten Liebe bringen. Nun erst wurde mir Tamimt anvertraut. Ihr zarter Körper war von einem fließenden Übergewand aus hauchdünnen Seide verhüllt, ihre blauen Augen vom Aleshu fast verdeckt, dem mit Goldmünzen besetzen Kopftuch. Ich nahm meinen Augenstern an der Hand, führte sie in das dritte Zelt zu einem Lager aus weicher Wolle und entkleidete sie, während im Lager alle Mitglieder des Klans tanzten und sangen.“
Nun lächelte er KeYNamM zu, wie einer, der mit einem Mitverschwörer ein Geheimnis teilen will, „Mein Augenstern“, sagte ich zu Tamimt, während ich ihre flache Brust immer und immer wieder küsste, „Tamimt, mein Augenstern, auf diesen Moment habe ich die ganze Zeit hingefiebert. Du allein bis die, die ich begehre, Du, das Ebenbild meines geliebten Freundes KeYNamM. Ich werde dich jetzt nicht nehmen, wie ich Deine Schwestern genommen habe. Wir werden bei einander liegen ohne die Ehe zu vollziehen, so lange bis mein Geliebter frei ist. Tamimt verstand mich und es musste kein Blut rinnen, damit unser Bund besiegelt war.“
Tarit schwieg, dann fügte er fast schüchtern hinzu, „Dihja und Lunja haben jetzt neun Monate später jeweils einen Sohn geboren. Beide Knaben haben meine dunkle Haut und deine blaugrauen Augen. Tamimt aber ist noch Jungfrau, denn ich habe ihre Jungfräulichkeit aufgehoben, bis ich sie mit Dir teilen kann.“
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Bevor sich beide am Nachmittag trennten, zog KeYNamM einen Beutel mit Kristallen vom Gürtel, „Für den Amenokal, Deinen Herrn und Beschützer. Ich weiß er liebt Kristalle.“ Er überlegte einen Moment, „Aber ich sende sie ihm nicht ohne Grund. Ich brauche seine Hilfe und Deine Hilfe. Ich habe versprochen meine Freunde aus dem Straflager zu befreien! Dein Vater kennt Amaynu, den Goldschmied. Ihn hat er ausgesendet, um Kristalle für Schmuck zu kaufen. Aber die Häscher des Imperators haben ihn festgenommen und behauptet, dass er die Kristalle unrechtmäßig erworben hat. Dafür wurde er zu Zwangsarbeit verurteilt. Der zweite meiner Freunde ist Ochuko, der Händler aus dem Süden. Du kennst ihn, er ist schwärzer als Du. Mit ihm hat Dein Stamm lange Jahre Geschäfte gemacht, gute Geschäfte, zur Zufriedenheit aller. Erinnerst Du Dich an ihn? Ihn hat der Gouverneur des Schmuggels von Quat beschuldigt und ins Straflager werfen lassen. Der Dritte ist mein Freund Idir, ein Viehzüchter vom Draa. Ich will sie alle drei befreien und dafür benötige ich Hilfe. Ich benötige Pferde und Steinöl, das Öl das sich entzünden lässt. Das benötige ich für Feuertöpfe.“ als Tarit ihn skeptisch ansah, „Sag Deinem Vater, dass es sein Schaden nicht sein wird. Ich kann ihm verraten wann und auf welchem Wege die geschürften Kristalle einmal im Monat zur Stadt gebracht werden. Der Transport wird bewacht, aber ein Dutzend Krieger Deines Herrn sind genug, um sie zu rauben. Es liegt an ihm, die Gelegenheit zu nutzen.“
„Wird der Überfall nicht einen Krieg zwischen uns Wüstensöhne und dem Imperium provozieren, einen Krieg, der weder für uns noch für sie von Vorteil wäre?“
„Sag Deinem König, ein Krieg steht ohnehin bevor. Das Imperium sammelt schon seine Kräfte für einen Überfall auf das Reich der Kel Tamasheq. Er will euch versklaven. Der erste Schachzug ist immer entscheidend! Sorge dafür, dass den Dein König macht!“
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8. Feuer der Befreiung
„Wo stand Dein Zelt KeYNamM-baba? Das Straflager ist riesig und die Menschen, dort drüben sind so klein wie Ameisen. Wer sind die Gefangenen und wer die Wachposten. Ich kann das nicht unterscheiden. Alle sehen gleich aus!“ Ikken lag zwischen KeYNamM und Tarit auf dem Bergkamm dem Straflager gegenüber. Von hier oben konnten sie das ganze Straflager überblickt werden. Der Amestan hatte es noch nie aus dieser Perspektive gesehen. Er selbst musste sich erst noch orientieren.
Klar, er erkannte die Wunde, die Gier nach mehr Kristallen und mehr Kristallen in den Berg am Rande des Jbel Sirwa gerissen hatte. Die jahrzehntelangen Bergbauaktivitäten hatte ein Drittel des Bergrückens weggenagt. Von dem einst hohem Ausläufer des Gebirges war nur mehr das Plateau mit dem Straflager geblieben und die steile Felswand, die die Westseite des Lagers bildete. Die nackte Felswand erinnerte an ein von Termiten zernagtes Holzstück. Die Löcher in der Wand waren aber die Eingänge zu den kurzen Stollen, in denen die Strafgefangenen nach Kristallen schürften. Zwischen dieser Steilwand und der schäbigen Siedlung für die Wachmannschaft und ihren Kommandanten am anderen Ende, nahm das Straflager die steinige Fläche ein, ein staubiges Trapez, entstanden durch das Einebnen des Abraums.
Die zerfressene Steilwand bildete ein natürliches, weil unüberwindliches Hindernis für jeden Ausbruchsversuch, zumal ihre obere Kante durch einen Palisadenzaun gesichert war. Dieser führte am Rande der Wunde bis zum Straflager herunter, an dessen Nordgrenze entlang bis zum Zaun, der die Behausungen der Wachmannschaft vom Straflager trennte. Entlang des Nordzaunes aus übermannshohen Pfählen hatten die Sträflinge alles Gestrüpp aufgehäuft, das beim Abgraben des Bergrückens zur Erweiterung der Mine anfiel. Dadurch war ein unüberwindlicher Wall aus trockenem, ineinander verfilzten, teils schon verrotten Ästen entstanden, der jetzt im Hochsommer trocken wie Zunder und damit wie geschaffen für KeYNamMs Plan war.
KeYNamM wollte das Lager von der Nordseite her angreifen, da dies von der Südseite her nicht möglich war. Gegen Süden war das Lager zwar nur durch einen niedrigen Zaun gesichert, der sich leicht verlegen ließ, sobald neue Stollen in den Berg getrieben wurden, um die erschöpften Stolen im nördlichen Teil des Steilhangs zu ersetzen. Entlang dieses Zaunes patrouillierten im Gegensatz zu dem Gestrüppwall im Norden Tag und Nacht schwerbewaffnete Wachen mit scharfen Hunden.
Von hier oben auf dem Bergkamm konnten sich KeYNamM, Ikken und Tarit einen guten Überblick über das Straflager und die Siedlung der Wachposten verschaffen. Die Sträflinge hausten entweder in den ausgebeuteten Stollen im nördlichen Bereich der Steilwand oder in Zelten davor. Weder die Wohnhöhlen, noch die Zelte gewährten ausreichend Schutz gegen die brütende Mittagssonne und den kalten Nachtwind. Im mittleren Teil des Lagers waren die herausgebrochenen Steinbrocken in offenen Hallen aufgehäuft, die die Sträflinge im Schutz des Daches mit kleineren Hämmern vorsichtig zerklopfen mussten, um die kostbaren Kristalle möglichst unzerstört aus dem wertlosen Muttergestein zu lösen.
Der Zaun zur Siedlung im Osten war besonders hoch und der Durchgang vom Lager her durch ein eisenbeschlagenes Tor gesichert. Zum Essenfassen mussten sich die Sträflinge morgens und abends am Tor anstellen, wo ihnen die Lagerweiber den mageren Brei aus Hirse, Bohnen und manchmal auch Fleischbrocken durch eine Klappe in ein irdenes Gefäß klatschten. Zu trinken gab es Wasser in Fässern. Diese standen neben dem Tor und wurden von den Wächtern nach Belieben aufgefüllt. Eine beliebte Art der Bestrafung der Häftlinge bestand darin, die Fässer tagelang nicht aufzufüllen.
Der Lagerkommandant und die Wachposten kümmerten sich um die Ordnung in den Reihen der Strafgefangenen nur indirekt. Die Ordnung wurde vielmehr von einer Kapo aufrechterhalten, die sich aus den Reihen der Verurteilten selbst rekrutierte. Sie wurde von den brutalsten Verbrechern angeführt, die ihre Lieblinge bevorzugten und alle übrigen Strafgefangenen knechten. Der Kreis der Kapo war privilegiert, nicht nur, dass sie die mühsame Arbeit in den Schächten denen aufzwingen konnten, die ihnen nicht die Füße leckten, sondern auch dadurch, dass sie als erste Zugriff auf das Essen hatten und sich daher die größten Fleischbrocken aussuchten konnten.
Das imposanteste Gebäude der Siedlung der Bewacher war das Haus, das vom Kommandanten und seiner Familie bewohnt wurde. Das kleinste Gebäude, das mit den dicksten Wänden, war der fensterlose Bunker, in dem die Ausbeute der Mine jeweils bis zum Abtransport gelagert wurde. Die Wachposten, meist ehemalige Soldaten, hausten in langen Baracken ohne großen Komfort. Der wurde ihnen im Küchenbau geboten. Der beherbergte nicht nur die Küche und die Vorratsräume, sondern auch eine Kantine, in der die Wachposten ihre Freizeit verbringen konnten. Das wichtigste in diesem Bau waren jedoch die Kammern der Lagerfrauen. Diese kochten und wuschen nicht nur, sie mussten auch den Wächtern zur Verfügung stehen, was sie je nach Laune widerwillig oder mit Freuden taten.
KeYNamM wartete einen Augenblick bevor er Ikken antwortete. „Siehst Du die Stelle dort wo der Palisadenzaun am Fuß der Steilwand endet und der Zaun entlang der Nordseite des Lagers beginnt?“ Als Ikken hindeutete, „Ja dort, dort stand unser Zelt, das ich mit Amaynu, Ochuko und Idir teilte. Es liegt gleich neben dem Wall aus Gestrüpp, so konnten wir den Schikanen der Kapo am besten entgehen und wurden auch nicht durch das dauernde Gehämmer gestört, das beim Trennen der Kristalle vom tauben Gestein den zu hören war. Ich hoffe, der Schlafplatz meiner drei Freunde ist immer noch beim Gestrüppwall, denn das würde ihre Befreiung erleichtern.“
„Und wie wollen wir Deine Freunde befreien? Wir sind doch nur Drei! Wir Drei können doch den Palisadenzaun nicht einreißen und den Wall aus Gestrüpp wegräumen. Dazu bräuchten wir eine ganze Armee.“
„Wir schaffen das sogar zu Zweit! Du und ich und das Feuer! Tarit wird anderswo gebraucht! Aber er hat mir Steinöl für die Feuertöpfe mitgebracht! Diese Waffe ersetzt eine ganze Armee!“
„Das Zeug, das so stinkt? Willst Du die Wachen mit seinem Gestank vertreiben!“
Tarit grinste! „Ich lass euch besser allein. Ich misch mich nicht in einen Streit zwischen Vater und Sohn. Da hol ich mir nur eine blutige Nase!“ Mit einem „Viel Glück! Bis morgen früh!“ machte er sich auf den Abstieg.
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Im Schutz der Dämmerung pirschten sich KeYNamM und Ikken an den Palisadenzaun heran. Sie brauchten nicht leise zu sein, da das Gehämmere noch andauerte als die Mondsichel schon am Himmel hing und die Landschaft in fahles Licht tauchte. Auch als das Gehämmere endlich verklang, trat keine völlige Stille ein. Stattdessen drang ein dauerndes Gemurmel aus dem Straflager über den Zaun, das immer wieder durch spitze Schreie unterbrochen wurde, die sowohl Schmerz- als auch Lustschreie sein konnten.
Der Palisadenzauns hob sich schwarz gegen den Nachthimmel ab, als KeYNamM und Ikken vorsichtig den Hang zum ihm hinauf krochen. An seinem Fuße angelangt, lauschten ins Dunkel, aber alles war ruhig, d. h. es war nur das gleichmäßige Gemurmel der Strafgefangenen zu hören sowie Hundegebell vom Südzaun des Lagers. Der Zaun hier war also heute auch nicht bewacht, wie KeYNamM aus seiner Zeit im Lager wusste.
KeYNamM fischte den ersten der drei Feuertöpfe vorsichtig aus den Sack, drehte den festsitzenden Stopfen aus den engen Hals des Tonkruges, zog den Luntenstreifen mit Hilfe des daran geknüpften Fadens eine Spanne weit aus dem Krug und hielt diesen in die Flamme der Blendlaterne, die ihm Ikken entgegenstreckte. Der Geruch nach Steinöl, gemischt mit Harz und Salpeter, stieg ihnen in die Nasen. Ikken nieste. Er protestierte, „Schnell, werfe den Feuerkrug über den Zaun, sonst niese ich mich zu Tode und die merken doch, dass wir hier sind.“
Weit ausholend, schleuderte KeYNamM den Feuertopf über den Palisadenzaun. Er betete, dass die dünne Wand des Tonkruges beim Aufprall in tausend Scherben zerbersten, das leicht brennbare Gemisch auf den dürren Ästen hängen bleiben und von der glühenden Lunte in Brand gesetzt werden würde. Sie warteten einen Augenblick und als über den Zaun steigender Rauch anzeigte, das zumindest einige Äste in Brand geraten waren, schlichen sie den Zaun entlang und KeYNamM entzündete die Lunte des zweiten Feuertopfs und warf ihn über den Zaun. Die Stelle lag viel näher an der Siedlung der Wächter, als die an der der erste Brandsatz geworfen worden war. Jetzt liefen sie geduckt so schnell es bei der herrschenden Dunkelheit möglich war, noch ein Stück den Hang entlang, fast bis zur Siedlung und warfen dort den dritten Feuerkrug über den Zaun. Der Fallwind, der vom Berg ins Tal strich, fachte die entstandenen Glutnester an und bald wanderten drei Feuerschlangen den Zaun entlang zur Siedlung. Wo das Feuer trockene Nahrung fand, loderten die Flammen das hell auf, ein Funkenregen flog durch die Nacht und entzündete nicht nur das trockene Gestrüpp am Zaun innerhalb des Straflagers, sondern die kümmerlichen Büsche am Talhang.
KeYNamM und Ikken warteten den Erfolg ihrer Aktion nicht am Zaun ab, sondern kletterten ein Stück den Berghang hinauf, um eine gute Übersicht über die Geschehnisse im Lager erhalten zu können. Versteckt hinter einem Felsbrocken warteten sie auf die Alarmschreie der Wachposten und Strafgefangenen oder zumindest das Aufheulen der Wachhunde, deren feine Nasen, den Rauch als erste wahrnehmen sollten.
Erst als die drei Feuerschlangen schon ein Stück vorwärts gewandert waren, ertönten die ersten Alarmrufe, in die sich aus der Entfernung unverständliche Kommandos, Flüche und das nervöse Gebell der Wachhunde mischte. Bald brannte der Gestrüppwall entlang des Zaunes lichterloh und sie konnten beobachten, wie die Wachen vergeblich versuchten die Gefangenen zusammen zu treiben um einen Ausbruch zu verhindern, da an eine Löschung des Brandes aussichtslos schien.
KeYNamM und Ikken warteten geduldig, denn bevor nicht mindestens ein Teil der Palisaden völlig niedergebrannt war, konnten die Gefangenen nicht ausbrechen. Würde Amaynu, Ochuko, Idir die Flucht gelingen? Das war die Frage, die KeYNamM quälte. Die Vier hatten während der gemeinsamen Zeit im Straflager ein Zeichen gehabt, mit denen sie sich verständigten, das Flöten der Wüstenlerche. Er richtete sich hinter seiner Deckung auf und trillerte dreimal wie der Vogel. Er wartete. Keine Antwort! Jedenfalls schien niemand den Ruf der Lerche gehört und beantwortet zu haben. Das jedoch war nicht sicher, da im Lager inzwischen ein Höllenlärm ausgebrochen war.
Die anfängliche Ruhe war schnell lautem Geschrei gewichen. Im ersten Moment verstand Ikken nicht, warum der Lärm so zugenommen hatte und warum sich die Menge zu einem Klumpen zusammenballte und keiner den Brand bekämpfte. „Die kämpfen miteinander, Sträflinge und Wachpersonal kämpfen miteinander.“ flüsterte ihm KeYNamM zu, „Schau das Wachpersonal will verhindern, dass sie zum Brandherd vordringen, aber die Strafgefangenen drängen immer weiter zum Zaun. Sie wollen sich den Weg freikämpfen und flüchten sobald der Zaun niedergebrannt it. Die Hunde sind auch keine Hilfe mehr! Hörst Du wie sie heulen? Die Sträflinge versuchen wahrscheinlich die Bestien totzuschlagen.“
Im schwachen Mondlicht konnte Ikken erkennen, das sich zwei Parteien gegenüberstanden. Die größere hatte die kleinere umzingelt, obwohl diese über Lanzen verfügte, deren Spitzen im Mondlicht blinkten. Viele der Sträflinge hatten sich jedoch lange Stangen bewaffnet, mit denen sie die Lanzenstöße der Wachen abwehrten und auf sie einschlugen. Andere wieder hoben Steinbrocken auf, die zuhauf herumlagen und bewarfen damit die Wächter. Das numerische Übergewicht der Strafgefangenen war beträchtlich und konnte von Wachmannschaft auch nicht durch ihre bessere Bewaffnung ausgeglichen werden.
Der Häuflein der Wächter wurde immer weiter zusammengedrängt. Bevor die Wächter jedoch überrannt werden konnten, veränderten sie ihre Taktik. Sie versuchten nicht mehr zum brennenden Zaun vorzustoßen, um einen Ausbruch der Strafgefangenen zu verhindern, sondern wechselte die Stoßrichtung, durchbrach die Einkesslung und versuchten das Tor zur Siedlung zu erreichen. Dies gelang ihnen jedoch nur unter weiteren Verlusten. Die Lagerweiber, die die Wächter von Beginn an angefeuert hatten, öffneten den kleinen Durchgang neben dem Haupttor, durch den sie einer nach dem anderen flüchten konnte. Während eine kleinere Gruppe von Strafgefangenen das Tor belagerte, strömte die meisten zum Zaun und suchten nach Stellen, an denen das Feuer den Nordzaun schon vollständig niedergebrannt hatte und die Glut schon am Erlöschen war.
Dort wo der Nordzaun an die Felswand stieß und der Zaun bis auf wenige Palisaden niedergebrannt war, warfen die Strafgefangenen große Steine auf die heiße Asche und bauten so einen begehbaren Weg über die Glut. Über diesen verließ jetzt im ersten Licht des Tages ein ständiger Strom von Flüchtenden das Straflager. Die ersten schienen nur das mitgenommen zu haben, was sie auf dem Leibe trugen, die später kommenden schleppten ihre wenigen Habseligkeiten in einem Bündel auf dem Rücken. KeYNamM war jedoch sicher, dass viele wie er damals auch, einen kleinen Schatz an Kristallen gehortet hatten, den sie jetzt in der neu gewonnen Freiheit dringend gebrauchen könnten. Aber wie weit würden die wenigen Steine auf der Flucht vor den Häschern des Imperators reichen?
KeYNamM verschwendete keine weitere Zeit, um darüber nachzudenken, sondern suchte die Reihe der Flüchtenden nach seinen Freunden von damals ab. Er musste sie finden, wenigstens einen von ihnen, der ihm berichten könnte was aus den andern geworden war. Hatte überhaupt einer von ihnen überlebt? Hatte der Gouverneur sie aus Rache für sein Entkommen töten lassen? Alles konnte geschehen sein. Für einen Augenblick übermannte ihn Trauer und Müdigkeit und es fielen ihm die Augen zu.
KeYNamM schreckte auf, als Ikken ihn anstieß! „Dort schau KeYNamM-baba, schau der große Schwarze, der einen kleinere Mann stützt, suchst Du die?“ Es war Ochuko und der, der neben ihm herhinkte war Amaynu. Idir ging direkt dahinter. Er hatte einen dicken Verband um den Kopf gewunden. KeYNamM sprang auf, winkte mit den Armen und schrie, „Ochuko, Ochuko, hier herauf! Hier sind wir! Ochuko, Amaynu, Idir, hier herauf!“
Ikken hatte KeYNamM-baba noch nie so schnell rennen sehen wie jetzt. Langsam kletterte er ihm nach und als er sah, wie die vier sich umarmten, wie Verrückte herumtanzten, sich gegenseitig auf die Schultern klopften, sich auf die Wangen küssten, wurde er ein wenig neidisch. Schließlich hatte er die Drei entdeckt, ohne dass er sie jemals zuvor gesehen hatte. Ikken war aber rasch versöhnt, als sich der große Schwarze zu ihm beugte, ihn anstrahlte und hochhob, „Du bist der Mutige, der den Amestan gerettet hat! Du musst es sein! Du und dein kleinen Bruder sind berühmt, ihr werdet sogar von den Wachen im Lager bewundert.“
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Trotz der Lanzenwunde, die Amaynu im Oberschenkel hatte, beschlossen sie nicht der langen Schlange der Flüchtenden ins Tal zu folgen, sondern nahmen den beschwerlicheren Weg über den Bergkamm nach Norden. Um die Mittagszeit rasteten sie an einer Quelle am Rande eines Zedernwaldes und stiegen erst gegen Abend in ein Tal ab, das nach Osten führte. Als sie am Abend das erste Dorf sahen, ein von einem Mauerring umgebenes Wehrdorf auf einen kahlen Hügel über dem Tal, versteckten sich Amaynu, Ochuko, Idir am Bach zwischen Sträuchern, während KeYNamM und Ikken den steilen Pfad zum Ksar hochstiegen.
Als die beiden in der Dämmerung durch das Tor in den engen Innenhof der Wohnburg zwischen die hoch aufragenden Häuser traten, scheuchte ein lang gezogener Triller die Kinder, die gerade noch Dämmerung herumtobten, in die Häuser.
Der Innenhof nun war menschenleer, nur dürre Hunde umkreisten sie gefährlich knurrend. Ängstlich suchte Ikken die dunklen Fensteröffnungen und schmalen Eingänge in den graugelben Hauswänden nach Leben ab. Gerade als er KeYNamM an der Hand fasste, um ihm zum Tor der Wohnburg zu ziehen, öffnete sich eine Tür im größten der Häuser und eine gebeugte Gestalt bewegte sich langsam die wenigen Stufen vom Hochparterre herab in den Innenhof. In der aufkommenden Dunkelheit konnte weder KeYNamM noch Ikken erkennen, ob es sich bei der Gestalt in dem weiten Umhang um Mann oder Frau handelte.
Ikken schauderte es, als die Gestalt sie dreimal umkreiste und dabei Verse murmelte, die Gebete sein konnten aber auch Verwünschungen. Erstarrt klammerte er sich an KeYNamM. Ihn schauderte es noch mehr, als die Gestalt vor ihm stehen blieb, ihm mit knochiger Hand übers das Haar fuhr und ihm dann den spitzen Zeigefinger in die Brust bohrte, genau dort wo sein Herz saß. „Ich rieche es, ich rieche es!“ murmelte die Gestalt, mit der gebrechlichen Stimme er uralten Frau, „Du bist es, Du bis der neue König. Mir machst Du nichts vor!“ Dann drehte sie sich zu KeYNamM. „Wo ist der alte Amestan, der Amestan, den ich liebte als ich jung und schön war? Wo ist er geblieben?“ KeYNamM konnte sich keinen Reim auf das machen, was die Alte sagte, denn er verstand den Dialekt nicht, den sie sprach. Die einzigen Worte, die er erraten konnte waren König und Amestan und die verunsicherten ihn.
Ikken verstand die Alte wohl, da er den Dialekt der Gebirgsbewohnern kannte, die ihre Schafe und Ziegen auf dem Soukh von Tinghir verkauften. „Die alte Hexe kennt Dich KeYNamM-baba, sie weiß, dass Du der König des Unlandes bist. Sie kennt deinen Vater! Sie nennt ihn den alten Amestan. Sie will wissen wo er ist! Aber warum nennt sie nicht auch König?“
Jetzt lief es auch KeYNamM kalt den Rücken herunter. Dann antwortete er, „Ja Alte, ich bin der neue Amestan vom Unland. Mein Vater ruht schon lange im Königsgrab in Tamegroute. Du wirst die Freude Deiner Jugend nie mehr sehen. Du musst mit dem neuen Amestan vorlieb nehmen, den der noch nie von Dir gehört hat!“
„Sei willkommen Amestan, wie dein Vater bist Du hier immer willkommen.“
Dann drehte sie sich zu Ikken, legte ihm die Hand segnend auf das Haar, „Du verstehst es jetzt noch nicht, kleiner König. Aber jetzt kann mein Leben verlöschen, denn jetzt bin ich sicher, das die Linie der Beschützer der Menschen nie erlöschen wird!“ Dann drehte sich die Alte um und verschwand durch das Tor in die Nacht.
KeYNamM und Ikken lauschten noch den in der Nacht verklingenden Schritten der Alten, als sie Stimmengewirr aus ihrem Erstaunen weckte. Ein kräftiger Mann, zweifellos der Dorfälteste, der Amrar, verbeugte sich tief vor ihnen, „Was führt Dich und Deinen Sohn in unser armes Dorf, hoher Herr? Die Sonne ist untergegangen. Seid meine Gäste, mein Haus ist auch Euer Haus, mein Tisch euer Tisch, mein Bett euer Bett! Eure Ankunft brachte unserer Mutter den Frieden, den sie so langer ersehnte! Herr, sei willkommen“
KeYNamM richtete den Mann auf, „Herr dieses Tals, wir sind Wanderer und vom Weg abgekommen. Wir, mein Sohn und ich, bitten Dich um Brot für uns und unsere drei Freunde, die am Bach warten. Zwei davon sind verwundet und der Dritte muss sie pflegen. Wir wollen Dir und Deinem Dorfe nicht zur Last fallen, uns genügt das frische Wasser des Baches als Trank und der weiche Sand seines Ufers als Bett, aber wir haben seit gestern nichts gegessen. Nimm unsere Kristalle gegen euer Brot und euren Käse.! Ich bitte Dich darum Amrar, denn Steine machen nicht satt.“
Der Amrar klatsche in die Hände und sogleich brachten Frauen Brot, Käse und Dörrfleisch. Als KeYNamM bezahlen wollte, nahm der Dorfälteste die Kristalle nicht an. Der Amestan rief daher einen der umstehenden Jungen herbei, schüttete ihm glitzernde Kristallen in die offene Hand, „Verteil sie unter deinen Freunden und behandle Fremde wie Deine Väter es tun.“
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Authors Note
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And I would like to add, thanks for reading.
My other stories posted in Nifty are in English: Buzzards, Hawks and Ravens (in progress), Chances for Changes, Ran-Dy Va-Mp Visits His Friend, Terry and Sam, A Christmas Story
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